Marketing und Vertrieb im Wandel von 1983 bis heute
Ich habe 1983 bei SEW-EURODRIVE in Bruchsal begonnen. Damals war der Vertrieb noch in der Hauptverwaltung in der Durlacher Straße untergebracht. Ein Jahr später zogen wir in die jetzige Hauptverwaltung um. Meine erste Aufgabe war, die Verkaufsberatung und -förderung zu leiten und zu koordinieren.
Bis dahin taten das verschiedene Leute an verschiedenen Orten sowohl in der Hauptverwaltung in der Durlacher Straße als auch außerhalb, wie z. B. in Garbsen bei Hannover. Neben der Lösung kundenspezifischer technischer Probleme bestand die Aufgabe auch in der Betreuung der technischen Dokumentation und der Beratung der Geschäftsleitung in Fragen der Produktpolitik. Ich kam aus einer sehr von elektronisch geregelter Antriebstechnik geprägten Firma zu SEW-EURODRIVE, wo ich die damaligen Schwerpunkte Drehstromgetriebemotoren und Drehstrommotoren mit geringem Anteil Gleichstrommotoren und entsprechenden Reglern vorfand.
Die Anfänge der Gleichstromtechnik
In der Verkaufsberatung haben sich einige der Mitarbeiter um die damals noch bei SEW-EURODRIVE produzierte Gleichstrom-Regeltechnik gekümmert. Diese war ein Erbe aus dem kurz zuvor erfolgten Zusammenschluss von SEW-EURODRIVE und der Firma Obermoser. Obermoser war ein Vertreter der Gleichstromtechnik und regelbarer Antriebe. SEW-EURODRIVE hatte die Technik dann integriert und einige meiner Mitarbeiter waren dazu speziell für den Vertrieb beratend tätig bzw. haben Produkte dieser Art sogar direkt verkauft. Das war für den relativ kleinen Umsatz, den man damit gemacht hatte, noch möglich und akzeptabel.
Aber es kam bald die Frage auf, wie wir das ausweiten wollen. Wir haben erst einmal geschaut, wo wir stehen und wo wir hin wollen. Die Leute, die zu mir gehörten, mussten auch räumlich ein bisschen näher heranrücken, damit wir uns austauschen konnten. Weiter mussten wir Schulungen durchführen - sowohl für Verkäufer, die bisher mit der Gleichstromtechnik wenig zu tun hatten, als auch für Kunden. Die Integration der Gleichstromtechnik in den Vertrieb Deutschland gehörte zu meinem Aufgabengebiet. Der Vertrieb bestand damals aus sechs Abteilungen mit jeweils 3 bis 5 Mitarbeitern in Bruchsal sowie den Regionalbüros. Das waren zum Teil eigene Büros und zum Teil Vertretungen.
Erste Skepsis gegenüber der Frequenzumrichter-Technik
Ab 1983/84 begann SEW-EURODRIVE, die Gleichstromtechnik stärker zu forcieren. Parallel zu dieser Aktivität fand im Vertriebsbüro Garbsen/Hannover bereits testweise die Entwicklung von Frequenzumrichtern statt. Ernst Blickle und Herr Engel, der damalige Geschäftsführer Vertrieb, haben die Frequenzumrichtertechnik zunächst skeptisch gesehen und haben sie als eine Spielwiese von Technikverliebten gesehen. Die ungeregelte Drehstromtechnik und die Gleichstrom-Antriebstechnik haben ja mehr oder weniger gut funktioniert und das Gros der Kundenwünsche erfüllt. Aber es war klar, dass die Gleichstromtechnik am Markt mehr und mehr durch die Umrichtertechnik ersetzt wurde. Folgerichtig wurde nach dem Umzug der Testentwickler von Garbsen nach Bruchsal die Entwicklung für Frequenzumrichter aufgebaut.
Ungefähr 1985/86 hatte sich dann die geregelte Drehstromtechnik durchgesetzt, obwohl ich selber miterlebte, wie Ernst Blickle Herrn Trümpler, dem damaligen Leiter der Elektronikentwicklung, gesagt hatte: „Das ist doch Spielzeug, was ihr da macht. Ich weiß, was wir haben. Wir haben viel Erfolg mit dem Baukastensystem, der Drehstromtechnik, den Getrieben und Getriebemotoren und da stecken einfach die Ressourcen. Das ist das, was uns Umsatz bringt.“ So etwa war die Situation bei SEW-EURODRIVE, als ich dort angefangen habe.
In der Folge hatte die geregelte Drehstrom-Antriebstechnik auch Auswirkungen auf die gesamte Konstellation und Weiterentwicklung des Unternehmens im In- und Ausland und besonders auf den Vertrieb. Wir haben damals mit unserem Team, den permanenten Technikschulungen, der direkten Kundenbetreuung und unserer Arbeit an der Technischen Dokumentation den Grundstein dafür gelegt, dass sich der Vertrieb im Inland und im Export mit Regelungstechnik und heute mit elektronisch gesteuerten und geregelten Antriebsausrüstungen befasst.
Eigene Vertriebsbüros treten mehr und mehr an die Stelle der lokalen Vertretungen.
Die Betreuung der Kunden lief früher nur über die Technischen Büros, sogenannte Drive Technology Center (Vertrieb, Service und Schulungen unter einem Dach) gab es noch nicht. Diese wurden erst in den 1990er-Jahren Zug um Zug aufgebaut.
Die Verkaufsabwicklung und Verkaufsberatung selbst befanden sich in den 1980er-Jahren noch in Bruchsal. Die lokalen Vertretungen wurden nach und nach auf eigene SEW-EURODRIVE Büros umgestellt und in den 1990er-Jahren wurde meines Wissens nach die letzte Vertretung geschlossen.
Mit der richtigen Werbung haben wir praktisch erst Anfang der 1990er-Jahre losgelegt. Ich war ja damals als Marketingleiter mitverantwortlich für die Werbung. Besonders spektakulär war eine Anzeigenserie in Form eines Cartoons mit Politikern im Magazin "Der Spiegel". Es ging darum, Aufmerksamkeit zu erregen. Das heißt, den Markt darauf aufmerksam zu machen, dass es da eine Firma SEW-EURODRIVE gibt, die sonst nur im Verborgenen blüht.

Mit der Wende beginnt die Eroberung des Marktes im Osten Deutschlands
1989 fand die friedliche Revolution statt. Und 1990 durften wir anlässlich der Leipziger Frühjahrsmesse im Auftrag von Rainer Blickle – Ernst Blickle war 1986 verstorben – die uns bekannten Fertigungsstätten für Antriebstechnik der DDR besuchen. Dabei sollten wir die Möglichkeit der Übernahme durch SEW-EURODRIVE erkunden. Wir besichtigten die VEBs und waren entsetzt, in welchem Zustand diese waren. Man hätte Gebäude abreißen und völlig neu aufbauen müssen. Deswegen entschied sich SEW-EURODRIVE, im französischen Forbach neu zu bauen.
Anschließend begann der Vertrieb damit, in Ostdeutschland regionale Vertriebsbüros unter anderem in Magdeburg, Dresden und Erfurt aufzubauen. In Berlin existierte schon immer eine Vertretung. Diese wurde umgebaut in ein eigenes SEW-EURODRIVE-Vertriebsbüro. Später kamen noch die Standorte Güstrow und Meerane dazu.
Am Anfang ging es vor allem um Ersatzbeschaffung
Die ersten drei neuen Büroleiter von Dresden, Magdeburg und Erfurt kamen zu uns in die Verkaufsberatung nach Bruchsal und haben hier hospitiert. Wir waren umgekehrt vor Ort und haben dort unterstützt. Anschließend mussten sich die Büroleiter in den neuen Bundesländern beweisen. Das Problem dabei war, dass die Industrie der ehemaligen DDR relativ schlecht ausgerüstet war und schlussendlich von der Treuhand abgewickelt wurde. Da mussten dann Neugründer her, die Unternehmen sozusagen aus dem Nichts aufgebaut haben.
So fing die Tätigkeit der neuen Mitarbeiter mit Ersatzbeschaffung an: Sie mussten Ersatzausrüstung für früher gelieferte Maschinen beschaffen. Das hat sich erst in den folgenden fünf bis sechs Jahren so einigermaßen zu einem regelrechten Vertrieb mit Unterstützung der dortigen neugegründeten Maschinenbaufirmen gemausert.
Ein Riesenmarkt, der hart erkämpft werden musste
Das war ein Riesenmarkt, den zu erobern es aber einige Zeit gebraucht hatte. Denn im Zuge der Abwicklung der volkseigenen Betriebe versuchte zunächst die Treuhand, mit westdeutschen und ausländischen Unternehmern über die Übernahme zu verhandeln. Dabei sind vielfach Neugründungen nach kurzer Zeit wieder in Konkurs gegangen. SEW-EURODRIVE hat das auch mit einigen Kunden erlebt. Wir hatten also am Anfang minimalste Umsatzbeiträge in den neu gegründeten Vertriebsstellen. Der ist aber innerhalb der nächsten fünf bis sechs Jahre gewachsen und jeder größere Zuwachs wurde als Erfolg gefeiert.
Unsere Vertriebsleute in den neuen Bundesländern haben gekämpft wie die Löwen
Es kam zu etlichen Wiedergründungen oder Neugründungen von Unternehmen entsprechender Bedeutung. So gab es in Magdeburg eine große Fördertechnikfirma, die unser Magdeburger Büroleiter für uns gewinnen konnte, und ab da ging nichts ohne ihn. SEW-EURODRIVE war bald Haus- und Hoflieferant dieser neu gegründeten Firma. In Dresden und Erfurt lief es so ähnlich. Unsere Vertriebsleute in den neuen Bundesländern haben wirklich gekämpft wie die Löwen.
Auch im Bereich Schiffsbau wurden sie über die Niederlassung in Güstrow aktiv. Aber der Schiffbau ist dann ziemlich leidend geworden.
Später kam es zu Umstrukturierungen im Vertrieb und die dezentralen Vertriebszentren wurden gegründet: Meerane bei Zwickau, Garbsen bei Hannover und Kirchheim bei München. Dort wurden, ähnlich wie im Ausland, auch Bauteillager gemäß Baukastensystem eingerichtet, um direkt vor Ort Getriebemotoren nach Kundenwunsch montieren zu können.